Anne König

Die Demut-Probe

CDU-Bundestagskandidatin Anne König

Der Frauenanteil der Unionsfraktion? Rund 20 Prozent. Nun streben jüngere CDU-Frauen in den Bundestag. Im Münsterland hat Anne König den langjährigen Direktkandidaten verdrängt – und tritt dennoch betont bescheiden auf.

Zur Begrüßung gibt es Erdbeerkuchen. Markus Jasper, CDU-Kreisgeschäftsführer im westfälischen Borken, hat in sein Büro geladen und erklärt, was seine Heimat ausmacht. Sechs Wahlkreise zählt das Münsterland auf der Karte, hier gebe es glückliche Menschen, sagt Jasper, echte Macher, die größten Viehzuchtflächen Deutschlands und mit zwei Direktkandidatinnen nun wirklich kein Frauenproblem.

 

Warum man denn ausgerechnet hier über Frauen in der CDU sprechen wolle?

Wegen Anne König. König hat ebenfalls gerade in der Kreisgeschäftsstelle Platz genommen, sie schenkt der kleinen Runde Kaffee ein. Anne König ist 36 Jahre alt, in der Schulleitung einer Gesamtschule und will für die CDU im Wahlkreis Borken II in den Bundestag.

Dass sie es nach Berlin schafft, ist fast ausgemachte Sache: Die Region ist CDU-Stammland, die christdemokratischen Bewerber holen hier verlässlich mehr als 50 Prozent der Erststimmen. Das gilt auch für Königs Vorgänger Johannes Röring, 62, der seit 2005 im Bundestag sitzt. Er wollte wieder antreten, doch König gewann die Kampfkandidatur deutlich, die lokalen Zeitungen schrieben von einer »großen Überraschung« und einer »krachenden Niederlage« für Röring. Zuvor hatte sogar die »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung« über Königs Ambitionen berichtet – »Der Platzhirsch und die Jägerin« war der Artikel überschrieben.

König erzählt später, sie sei nach der Abstimmung »dankbar und demütig« gewesen. Eine Vorzeigekandidatin: eine junge Frau, die verkrustete Strukturen in der Partei aufbricht – und sich trotzdem bescheiden gibt.

Immerhin ein Drittel der CDU-Landesliste in Nordrhein-Westfalen ist mit Frauen besetzt, so vielen also, wie die Partei laut ihrem Quorum in politische Ämter schicken will. Das ist viel, wenn man sich zum Vergleich die Landesliste der CDU von Sachsen-Anhalt anschaut, auf der gerade einmal eine Frau zu finden ist. Auch in der Unionsfraktion im Bundestag saßen zuletzt nur etwa 20 Prozent Frauen. Kommt aus dem Münsterland also die weibliche Zukunft der Union, die neue CDU?

An diesem Tag ist König etwa um 3.45 Uhr aufgestanden und hat bis halb sechs Uhr morgens eine Powerpoint-Präsentation für ihren Wahlkampf erstellt. Um halb sieben standen die Kinder auf. Nun sitzt König in ihrem E-Auto und hat Schüttelfrost. Am Tag zuvor wurde sie zum zweiten Mal gegen Corona geimpft.

König ist zu Menschen in ihrem Wahlkreis unterwegs. Sie hört zu, lächelt, macht ein paar Bilder für Facebook. Mit Rettungsschwimmern. Vor einem Solardach. Nur manchmal verschränkt König kurz fröstelnd die Arme, dass es ihr nicht besonders gut geht, merkt niemand.

Parteikollegen loben gern ihre Effizienz. »Als Mutter muss sie ihre Zeit wie alle Eltern anders einteilen«, sagt Kreisgeschäftsführer Jasper. Sie gehe mit der Zeit in Sitzungen sparsam um. König betont immer wieder, dass sie nach den Geburten ihrer beiden Söhne bereits acht Wochen später zurück im Beruf war.

Wie das geklappt hat? Indem sie das Geld für die Familie verdiente, während ihr Mann studierte und sich um die Kinder kümmerte. Viel Aufhebens macht König nicht darum. »Klar habe ich weniger geschlafen«, sagt sie im Auto. Vier bis fünf Stunden reichten ihr inzwischen. »Aber andere Frauen haben es doch viel schwerer als ich.« Alleinerziehende zum Beispiel. Oder die Freundin, die nach dem Tod der Eltern ihre Geschwister großzog.

König hat im Wahlkreis gegen einen Mann gewonnen, der im Bundestag vor allem für seine hohen Nebeneinkünfte bekannt wurde. Für seine vielen Aufsichtsratsmandate. Für Skandale in seinem Schweinemastbetrieb. Für seine Rolle als Agrarfunktionär im Landwirtschaftsausschuss des Bundestags. An ihm klebt ziemlich viel alte CDU.

König lernt von Männern

König ist das moderne, grüne Gegenmodell, E-Auto und Solarenergie inklusive. Sie hat in der CDU vieles richtig gemacht, was in der Partei erwartet wird: Mit 14 trat sie in die Junge Union ein, mit 16 in die CDU. Später engagierte sie sich im Kreistag und im CDU-Bezirksvorstand. Sie ist unter anderem Lehrerin für katholische Religion, will aber Frauen im Priesteramt, ist Fan der Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin.

Ihren Vorgänger kennt sie seit 15 Jahren. Als sie gegeneinander antraten, erzählt König, da telefonierten sie freundlich miteinander. Dann fuhr König durch den Wahlkreis und fragte die Menschen, was sie für sie tun könne. Sie hörte zu. Einem Wahlkreis, in dem um die Wahlkreiskandidaturen zuvor nie gerangelt wurde, tat das offenbar gut.

König weiß, dass Kritik an ihrem Vorgänger nicht gut ankommt. Sexismus habe sie in der Partei nie erlebt, betont sie. Stattdessen lernt sie gerade viel von erfahrenen Männern. Von Karl-Josef Laumann zum Beispiel, Gesundheitsminister in ihrem Bundesland und Vorsitzender des Bezirksverbandes Münsterland. Oder von ihrem Kreisvorsitzenden, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Oder von dessen Freund, Kreisgeschäftsführer Jasper.

»Es gibt eben mehr Männer in der Politik. Da ist es normal, von ihnen zu lernen.«

Mansplaining? Ist es nicht, findet König. »Es gibt eben mehr Männer in der Politik. Da ist es normal, von ihnen zu lernen.«

Nur manchmal gibt es die Rabenmuttervorwürfe. Die Fragen, wie sie das schaffe, als junge Mutter. Bei der digitalen Vorstellung der Kandidaten im Wahlkreis etwa. Da erwähnte ihr Vorgänger Röring, mit Mitte vierzig sei für ihn die beste Zeit gewesen, um in den Bundestag zu gehen. Sein elfjähriger Sohn habe trotzdem »den Papa vermisst«. Ein Seitenhieb gegen König: Immerhin ist sie 36. Ihre Kinder noch viel kleiner.

Das sei an ihr vorbeigegangen, sagt König, sie habe sich lieber auf die Fragen konzentriert. Sie weiß genau, was sie für ihre Partei tun kann. Bei einem Besuch im CDU-Agrarausschuss erklärte sie es den Mitgliedern so: »Sie brauchen als Landwirte Johannes Röring mit seinem Fachwissen. Aber die CDU braucht mich, um eine breite Wählerschaft auch aus anderen Berufen zu gewinnen.«

Nach der Tour durch den Wahlkreis hat König mit ihren Freundinnen im Biergarten Platz genommen. Es gibt Currywurst mit Pommes und ordentlich Mayo. Am Tisch sind sich alle einig: König habe viele junge Menschen in ihrer Partei begeistert. Königs Freundin Viktoria Keller-Flinks erzählt, dass sie in der Schlange der CDU-Mitglieder vor der Nominierungsveranstaltung »ziemlich viele junge Menschen« gesehen habe – »jedenfalls für CDU-Verhältnisse«. Eine andere Freundin schüttelt den Kopf: »Ich habe trotzdem nicht geglaubt, dass sie es schafft. Ich hab da nur alte Männer gesehen.«

Gemeinsam haben die Freundinnen einen Schützenverein für Frauen gegründet. Auch sie wollten auf einen traditionellen Holzvogel schießen, das dürfen sonst nur Männer. Sind sie deshalb Feministinnen?

Die Frauen lachen. Nein, sagen sie, bloß nicht. Feministinnen seien doch die, die sich dafür einsetzten, dass gegendert wird. Und das sei nun wirklich das geringste Problem der Frauen.

Bei der Vereinsgründung seien sie im Übrigen sehr stark unterstützt worden. Insbesondere von Männern.

 

Quelle: Milena Hassenkamp