Anne König

Als Neuling im Bundestag: "Ich muss gucken, ob die Augen trockenbleiben"

Sie ist eines der neuen Gesichter im Bundestag: Anne König aus Borken. Wenn sie heute zur konstituierenden Sitzung nach Berlin kommt, liegen aufreibende Wochen hinter ihr.

Anne König war Rektorin an einer Gesamtschule in Borken. Jetzt ist sie eine von bundesweit 282 Abgeordneten, die zum ersten Mal in den Bundestag einziehen. Wie Politik funktioniert, weiß die 36-Jährige aus 20 Jahren Arbeit in CDU-Parteigremien und im Kreistag. Aber in Berlin läuft doch vieles anders.

WDR: Frau König, wann ist Ihnen richtig bewusst geworden, dass Sie jetzt Abgeordnete des 20. Deutschen Bundestags sind? 

Anne König: Als ich letzte Woche am Reichstag vorbeigelaufen bin. Wir hatten vorher schon eine Fraktionssitzung im Plenarsaal, da hat es mich komischerweise noch nicht so ergriffen.' Aber als ich am Reichstag außen diesen Schriftzug "Dem Deutschen Volke" gesehen habe - das war ein besonderer Moment. Da bin ich ganz demütig geworden.

WDR: Nicht am Wahlabend selbst?

König: Da war ich erstmal unendlich dankbar, weil ich in NRW für die CDU das beste Zweitstimmenergebnis geholt habe und bei den Erststimmen das zweitbeste Ergebnis. Das ist für einen Neuling schon etwas Besonderes, dass die Leute einem das Vertrauen aussprechen. An dem Abend war ich aber auch zwischen Freud und Leid. Ich habe mich für mich gefreut, aber ich habe auch vorher nie erlebt, wie groß so ein Wahldebakel sein kann. 

Ansonsten war ich aber auch ein bisschen neben mir, weil ich seit Mai 300 Wahlkampftermine abgearbeitet habe. Da habe ich erstmal gedacht: Jetzt musst du erstmal ein, zwei Abende durchatmen. 

WDR: Hat es geklappt? 

König: Nein, montags bin ich sofort in den Zug, und dann gingen all die Dinge los, die man als Neue durchlaufen muss. Wir hatten eine Einführungsveranstaltung, wo uns die ersten Schritte erklärt wurden. Da geht es um so schlichte Dinge wie die, dass man einen eigenen Laptop bekommt, um Passwortverschlüsselungen, die Handys mussten eingerichtet werden.

Nicht zu vergessen die vielen Personalbögen - das ganze Klein-Klein der deutschen Bürokratie eben, das können wir ja richtig gut. Zum Glück habe ich schon weitestgehend meinen Mitarbeiterstab zusammengestellt, viele hatten sich schon früh beworben. 

WDR: Haben Sie denn schon ein Büro, in dem Sie das alles erledigen können?

König: Ein Übergangsbüro. Bei der Union sind es jetzt 50 CDU-Abgeordnete weniger, da stehen jede Menge Büros leer. Und weil die Verwaltung versucht, alle Abgeordneten einer Partei in einem Haus bzw. auf den Fluren zu verteilen, muss noch einiges hin- und hergeschoben werden.

WDR: Haben Sie wenigstens schon eine Wohnung?

König: Ich bin noch im Hotel untergebracht und suche, aber es ist sehr schwer, auf dem Markt in Berlin was zu finden.

WDR: Zwischendurch waren Sie beim Bogenschießen. Was war da los? 

König: Das war beim Bootcamp - da ging es darum, dass wir 48 Neuen aus der Unionsfraktion uns kennenlernen. Das Team muss sich erstmal bilden, wir sind ja alle aus unterschiedlichen Regionen. Und es ist auch schön, zwei Stunden an der frischen Luft zu sein, wenn man vorher acht Stunden in Workshops gesessen hat.

WDR: In denen man lernt, was man als Abgeordnete wissen muss?

König: Ja, da wurde uns zum Beispiel erklärt, wie Oppositionsarbeit funktioniert. Es ist ja ein Stück weit sicher, dass wir in die Opposition gehen. Ansonsten setzt man sich mit Erfahrenen zusammen und fragt: Mensch, wie läuft das hier eigentlich? 

WDR: Als Abgeordnete sitzen Sie ja nicht nur im Plenarsaal, sondern auch in Ausschüssen. Ist inzwischen geklärt, wo Sie mitarbeiten? 

König:  Nein, das hängt davon ab, ob es neue Ministerien wie das Klimaschutzministerium gibt. Ich kann einen Wunsch äußern - da gibt es diese sogenannten Teppichhändler-Runden, wo entschieden wird, wer in welchen Ausschuss kommt und welche Themen als Berichterstatter übernimmt. Da muss man sich dann ganz klassisch einarbeiten, damit man mitreden kann. Ich habe als Neuling ja nicht die Entscheidungen der letzten zwanzig Jahre im Kopf.

WDR: Haben Sie einen Wunsch-Ausschuss?

König: Mein erster Wunsch wäre der Ausschuss für Wirtschaft und Energie gewesen, aber man muss abwarten, ob die Ausschüsse neu zugeschnitten werden. Ich bin aber vielseitig einsetzbar, ich stehe für alles zur Verfügung - außer Verteidigung. 

WDR: Warum nicht Bildungspolitik? Da hätten Sie als Rektorin doch was zu sagen.

König: Natürlich ist das nicht auszuschließen. Aber wir haben in unserer Münsterlandrunde auch die Anja Karliczek, und vielleicht will sie weitermachen. Wir wollten uns als Münsterland auch möglichst breit aufstellen, um unsere Region in möglichst vielen Ausschüssen zu vertreten. 

WDR: Wenn Sie nach Berlin gehen, lassen Sie viel zurück: die Familie, den Job und nicht zu vergessen den Frauenschützenverein, den Sie gegründet haben. Wie läuft das dann?

König: Ich denke, da bin ich gut gebettet, auch mit den Eltern und Schwiegereltern. Mein Mann hat auch schon die Elternzeiten genommen, als ich kurz nach der Geburt der Kinder wieder in der Schulleitung gearbeitet habe, und meine Eltern leben mit im Haus. Und was meine Frauenschützen betrifft: Es gibt zum Glück freie Freitagabende, wo ich im Wahlkreis und Privatmensch bin. 

WDR: Ist die Familie heute bei der konstituierenden Sitzung auch als moralische Unterstützung dabei?

König: Leider nein, wegen Corona. Aber ich habe mich tierisch gefreut, dass mich Pressevertreter aus der Heimat durch den Tag begleiten. Dann fühlen sich zuhause alle mitgenommen.

WDR: Und jetzt haben Sie ein bisschen Schmetterlinge im Bauch? 

König: Ja, und ich fühle auch Demut. Das wird bestimmt ein bewegender Moment, Ich muss gucken, ob die Augen trockenbleiben. 

Das Interview führte Marion Kretz-Mangol

Quelle: WDR